Da stehen die beiden sich nun gegenüber, hasserfüllte Blicke, den Degen mit fester Hand umklammert, gewappnet für den Kampf um Leib und Leben. Klirrend schlagen die Degen aufeinander, doch Faust wehrt die Schläge des kampferfahrenen, überlegenen Valentin geschickt ab und holt schließlich zum entscheidenden Stoß aus – und trifft. Valentin geht zu Boden, schwer getroffen, und stirbt. Lächelt er etwa? Ja tatsächlich, Valentin sitzt seelenruhig da und lächelt seinen Mörder genüsslich an. Stirbt er etwa nicht? Erwartungsvolle Stille im Publikum. War’s das? „Komm schon, sag etwas! Irgendwas!!“ Valentin holt noch einmal tief Luft, sichtlich bemüht um eine bedachte Wahl seiner letzten Worte, und mit allerletzter Kraft richtet er das Wort an seine Schwester Gretchen „Verflucht seist du – und deine Familie!“, und stirbt. Erlösender Applaus.
Ja, unser Valentin, gespielt von Philipp Siegmeth, hat Doktor Faust, gespielt von Steffen Schlösser, ordentlich zugesetzt. Solche Herausforderungen gefielen ihm, da sie ihm Spontanität abverlangten, verrät der Schauspieler nach der Vorstellung im Gespräch. Und so sei keine Aufführung wie die andere. Dass es sich bei Schlössers Inszenierung von Goethes Faust nicht um eine Aufführung wie jede andere handelt, dürfte den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 1 und 2 am 08.05.2024 recht schnell klar geworden sein. Ein Mann – ja genau, ein (!) Mann – der den alten Klassiker in einer beeindruckenden One-Man-Show aus seinem verstaubten Image herausputzt und für die Jugendlichen erfahrbar, greifbar und spürbar macht. Schlösser spielt Gott und Mephisto, Faust und Gretchen, die tratschende Lieschen, den Pfarrer und viele, viele mehr. Doch er bindet auch ganz gekonnt und unverblümt das Publikum in seine Inszenierung ein: Er geht mit ihnen spazieren (Wagner), verliebt sich in sie (Gretchen), lässt sie einen Hexentrank anrühren und ficht letztlich mit ihnen um Leben und Tod (Valentin). Es vergehen kaum ein paar Minuten, in denen der Schauspieler die vierte Wand nicht durchbricht. Denn wenn er sich nicht gerade jemanden aus dem Publikum mit auf die Bühne holt, dann klärt er Hintergrundinformationen, Verweise, Begriffe, übersetzt in die Sprach- und Gedankenwelt der Jugendlichen, erläutert Zusammenhänge, Motive - er nimmt sein Publikum an der Hand und zeigt mit mitreißender Leidenschaft und Enthusiasmus, wie viel es in Goethes Lebenswerk zu entdecken gibt, wie nah uns die Fragen und Themen auch heute noch stehen. Wir sagen vielen Dank, Herr Schlösser, für dieses Erlebnis.
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